Die eingebrannte Hand von Foligno (Teil 2)
Am 4. November 1859 starb im Kloster der französischen Tertiarinnen in Foligno eine Nonne, namens Therese-Margrit Gesta, an einem Schlaganfall. Während vieler Jahre war sie Novizenmeisterin gewesen und hatte gleichzeitig die Garderobe des Klosters beaufsichtigt. Sie war in Bastia im Jahre 1797 geboren und im Februar 1826 ins Kloster eingetreten. Zweifellos war sie gut auf ihren Tod vorbereitet gewesen.
Zwölf Tage später, am 17. November, wurde eine Schwester, namens Anna Felizitas, beauftragt, in die Kleiderablage zu gehen. Sie hatte der Verstorbenen in diesem Amt geholfen und musste es jetzt allein ausüben. Dort angekommen, hörte sie Seufzer, die scheinbar aus dem Innern des Raumes kamen.
„Oh mein Gott! Wie ich leide! Oh!”
Die erschrockene Schwester erkannte sofort die Stimme der verstorbenen Schwester Therese. Sie nahm sich, so gut es bei all dem Schreck ging, zusammen und fragte: „Warum leidest du denn?“
„Wegen der Armut“, antwortete Schwester Therese. „Warum denn?“, fragte die kleine Schwester, „sie waren doch arm“.
„Nicht meinetwegen, aber ich habe den anderen Schwestern in dieser Beziehung zu viel Freiheit gelassen, und du, nimm dich ja in Acht.“
In diesem Moment füllte sich der ganze Raum mit dichtem Rauch und der Schatten der Schwester Therese erschien. Er bewegte sich an der Wand entlang bis zur Tür. Dort angekommen rief wieder die Stimme der Verstorbenen aus:
„Hier ist ein Zeugnis der Barmherzigkeit Gottes!“
Während sie diese Worte sprach, schlug sie mit der Hand auf die Holztür und hinterließ einen vollkommenen Abdruck ihrer rechten Hand, dann verschwand sie.
Die arme Schwester Anna-Felizitas blieb halbtot vor Angst stehen. Tief betroffen fing sie an zu schreien und um Hilfe zu rufen. Eine ihrer Mitschwestern rannte herbei, dann eine zweite und zuletzt die ganze Gemeinschaft. Sie drängten sich um sie und wunderten sich über den Geruch von verbranntem Holz. Da bemerkten sie an der Türe die schreckliche Einprägung.
Da die Hand von Schwester Therese auffällig klein war, erkannten die herbeigelaufenen Schwestern sofort, dass es sich um einen Handabdruck von Schwester Therese handelte. Entsetzt verließen sie den Ort, eilten in den Chor und fingen an zu beten. Sie vergaßen an diesem Abend sogar ihre leiblichen Bedürfnisse und beteten die ganze Nacht.
Immerhin bekam Schwester Anna-Felizitas von ihrer Oberin die Anweisung, sich auszuruhen, da sie noch ganz außer sich war vor Aufregung. Sie gehorchte, war aber entschlossen, diesen verkohlten Handabdruck anderntags um jeden Preis zum Verschwinden zu bringen, weil er ganz Foligno in Schrecken versetzt hatte.
Aber Schwester Therese-Margrit erschien ihr von neuem: „Ich weiß, was du willst“, bemerkte sie streng, „du willst das Zeichen, das ich hinterlassen habe, auslöschen. Du sollst wissen, dass es nicht in deiner Macht steht, es zu tun. Das Wunder wurde von Gott gewirkt zur Belehrung und Besserung aller. Durch sein furchtbares und gerechtes Gericht wurde ich verurteilt, vierzig Jahre in den schrecklichen Flammen des Fegfeuers zu verbringen, weil ich einigen Schwestern gegenüber zu nachgiebig war.
Ich danke dir und deinen Mitschwestern für die Gebete, die Gott in seiner Güte ausschließlich meiner armen Seele zukommen ließ, die mir eine so große Hilfe waren.“